Arbeitsnotizen

Bei Bildern, die mich berühren, geht immer auch eine Faszination, eine gewisse Intensität vom Motiv an sich aus. Dieses ist kein Vorwand zur Malerei. Neben der kompositorischen Anlage der Figuration ist das inhaltliche Moment ausschlaggebend, ohne es dabei auf die Illustration erzählerischer Thematik abgesehen zu haben. Es geht mir schliesslich um die unmittelbare Wirkung, die von Bildern ausgeht, und um die Art der Assoziationen, welche sie hervorrufen.
Bis heute brauche ich beim Malen die Reibung an der dinghaften Wirklichkeit, die Nähe zum „Modell“. Die menschliche Figur rückte früh ins Zentrum meines bildnerischen Interesses, gegenständlich, figürlich par excellence. In ihrer Ausschliesslichkeit und Konstanz wurde ihre Inszenierung und malerische Realisierung zum eigentlichen Thema.

Fern der formalen Abstraktion, fühlte ich mich doch immer der Idee der Autonomie der Malerei verbunden. Dies äussert sich nicht im Streben nach „reiner Malerei“, sondern im Versuch, das Motiv unauflösbar in der Malerei zu verankern.
Mir schwebte eine Malerei vor, die sich gegenüber blossem Abbilden und Imitieren des Scheins der Dinge dadurch auszeichnet, dass sie diesen eine im Gemaltsein verwurzelte Realität verleiht. Realität nicht bannen, nicht abmalen, sondern ermalen, den Körper durch Malerei realisieren.
Dazu muss die Figur aus der Alltäglichkeit herausgehoben, umgeprägt, verfremdet werden, sowohl auf der szenarischen Ebene wie im Malerischen.

Meine Malerei bewegt sich im Spannungsfeld des Widerspruchs zwischen ihrer Autonomie und ihrer Abbildfunktion. Menschendarstellung, die sich nahe an der Anatomie des menschlichen Körpers orientiert. Gleichzeitig soll die in einen virtuellen Bildraum fliehende Figur durch die unmissverständliche Kenntlichkeit der Farbe als Werkstoff, durch gestische Eingriffe und das „Verletzen“ der plastisch wirkenden Farbschicht an den Ereignisort Bildfläche geholt werden.
Fotografie und Film bilden realitätsnah ab und haben doch einen Effekt der Distanz. Das Wahrgenommene ist eine körperlose Projektion einer unnahbaren, dem Foto bzw. dem Bildschirm örtlich und zeitlich entrückten Wirklichkeit. Dem gegenüber hat Malerei einen körperlichen, stofflichen Charakter. Der gemalte Gegenstand übernimmt mehr oder weniger den werkstoffeigenen Charakter und erhält dadurch eine materielle Präsenz.
Ich möchte den Körper auf, ja vor die Bildfläche drängen, ihm eine quasi physische Präsenz verleihen, die Figur dem Malgrund nicht entrücken, sondern einverleiben. Die Farbmaterie hat eine Doppelwirkung und ist doppeldeutig: Die Farbe wird zu Fleisch – die Figur bleibt Malerei.

Die Gleichzeitigkeit von flächebezogener Komposition der Figur und ihrer betont anatomischen Körperlichkeit fordert eine entsprechende Auffassung des gesamten Bildraumes. Beabsichtigt war ein bildspezifischer Raum, ein Bildflächen-Raum, welcher eine Wechselwirkung von Raumillusion und Flächenhaftigkeit erzeugt. Elementare Raumstruktur, ein durch perspektivische Verfremdung in die Bildfläche geklappter Raum, welcher den in die Tiefe des suggerierten dreidimensionalen Raumes gelenkten Blick an der Bildoberfläche bricht.
Der Bildraum kann ganz zum Licht- und Farbraum werden, mit welchem die Figur verschmilzt.

Der Malakt greift von Anfang an unmittelbar in die Gesamtkomposition ein. Ein vorgefertigter Bildentwurf besteht nicht. Ausgangspunkt kann eine ziemlich klare Bildvorstellung sein, die im Laufe der Arbeit meistens abgewandelt wird. Oft aber sind die ersten Zeichen vage und fragmenthaft.
Das Bild wächst in Betrachtung des Vollzogenen, jeder Schritt orientiert sich am vorherigen. Der Malprozess ist ein Einkreisen der Figur, die noch gefunden werden muss. Nur zögernd konkretisiert sich die Gestalt und erschliesst sich der Bildraum.
Etappenweises Vorgehen, durch sukzessive Schichtung. Die Figur entsteht von innen nach aussen, von der Skizze zur Haut. Sie hat sozusagen ihre eigene, malereispezifische Anatomie. Dabei scheint sich die innere Energie auf das Bild zu übertragen.
Die Malerei kann in jedem Moment eine unerwartete Wendung nehmen und sich in jedem Stadium in eine neue Richtung entwickeln. Vieles entsteht durch Improvisation und nicht ausschliesslich durch geplanten Einsatz der Werkstoffe. Auftrag und Abtragung sind, ähnlich einer Modellage, gleichwertige Teile dieses Prozesses. Manches muss „geopfert“ werden. Lösungen finden sich manchmal nur in der Fragmentierung. Alles bleibt provisorisch bis das Bild die angestrebte Dichte und Kraft hat.

Rolf Blaser